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Sie halten es in einer Besprechung nicht länger als 15 Minuten aus und sind nicht in der Lage, einen Zeitungsartikel vollständig zu lesen: Ungefähr die Hälfte der Menschen, die als Kind an der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) erkrankt sind, leiden auch als Erwachsene an den Symptomen der Krankheit. Eine Diagnose ist für viele Betroffene ein erster wichtiger Schritt.

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Primar Univ.-Prof. Dr. Josef Marksteiner, Leiter der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie A am Landeskrankenhaus Hall, Univ.-Prof. Dr. Kathrin Sevecke, Direktorin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Innsbruck Foto: TILAK/Bergmann

Lange galt ADHS als überdiagnostizierte Modeerkrankung. In der Psychiatrie hatte ADHS schon immer den Status einer ernstzunehmenden psychischen Störung. Die diagnostische Abklärung ist aufwendig und sehr vielschichtig, sie verlangt fachspezifische Kenntnisse. Oft erweist sich ein Verdacht auf ADHS nach einer ausführlichen Abklärung als falsch, denn Gründe für Unkonzentriertheit gibt es viele: familiäre Schwierigkeiten, Traurigkeit oder andere psychische Erkrankungen – nicht immer liegt eine ADHS-Erkrankung vor.

Diagnose oft im Kindesalter

Da ADHS sich meist durch Konzentrationsschwäche und Hyperaktivität äußert, wird die Erkrankung häufig bei Schuleintritt eines Kindes festgestellt. Den betroffenen fällt es häufig schwer, die Hausaufgaben zu erledigen oder eine längere Zeit still zu sitzen. Hat eine KinderpsychiaterIn ADHS diagnostiziert, gibt es zahlreiche Therapiemöglichkeiten, die individuell auf den Bedarf der PatientIn abgestimmt sind. Einzel- und Familientherapie, Ergotherapie oder Psychotherapie werden im Bedarfsfall mit einer medikamentösen Behandlung ergänzt.
Eine wichtige Rolle bei der Bewältigung der Krankheit im Alltag spielen die nahen Bezugspersonen eines Kindes. „Eltern und PädagogInnen sind gefordert, sich Kenntnisse über die Erkrankung und für den Umgang mit betroffenen Kindern anzueignen. Ein ritualisierter Tagesablauf, das Reduzieren von Hintergrundgeräuschen durch Fernsehen oder Radio sowie das Beschränken auf einen Arbeitsauftrag sind Beispiele, wie man Kinder mit ADHS unterstützen kann“, so Kathrin Sevecke, Direktorin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Innsbruck.
PatientInnen, die an ADHS leiden, haben ein hohes Risiko, eine weitere psychische Erkrankung zu entwickeln. Deshalb ist es besonders wichtig, die psychische Gesundheit immer als Ganzes im Blick zu haben und möglichst alle Belastungsfaktoren zu identifizieren.

Ausprägung bei Erwachsenen

Bei der Ausprägung der Erkrankung gibt es zwei Meilensteine: Gegen Ende der Pubertät (zwischen 15 und 17) sowie um das 20. Lebensjahr können sich die Symptome deutlich mildern. Bei rund 50% der PatientInnen sind die Ausprägungen der Erkrankung im Erwachsenenalter noch vorhanden. „Während die Krankheit bei Kindern medizinisch mittlerweile gut erforscht und gesellschaftlich bekannt ist, steht die Auseinandersetzung mit ADHS bei Erwachsenen noch am Anfang“, so Josef Marksteiner, Leiter der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie A am Landeskrankenhaus (LKH) Hall.
Für Erwachsene, bei denen ADHS im Kindesalter noch nicht festgestellt wurde, ist eine Erstdiagnose der Erkrankung oftmals eine Erleichterung. „Das Wissen um die Krankheit erklärt viele Symptome und Betroffene haben endlich eine Erklärung dafür, warum sie es
nicht länger als 15 Minuten in einer Sitzung aushalten oder warum sie nicht in der Lage sind, einen Zeitungsartikel vollständig zu lesen“, so Josef Marksteiner Es kommt vor, dass Erwachsene im Umgang mit den eigenen Kindern oder Enkelkindern ähnliche Verhaltensmuster und Symptome bei sich selbst erkennen. Eine medizinische Abklärung könnte zeigen, dass sie ebenfalls an ADHS leiden.
Im Erwachsenenalter ist die motorische Hyperaktivität meist schwächer ausgeprägt. Oft bleiben Symptome wie Konzentrationsschwäche, innerliche Unruhe, ein starker Drang nach sportlicher Betätigung sowie eine starke Impulsivität. Gleich wie im Kindesalter sind Diagnose und Therapie vielschichtig und individuell auf die PatientIn abgestimmt.
Es ist wichtig, dass ADHS weder bei Kindern noch bei Erwachsenen als Modeerscheinung eingeschätzt wird. Es handelt sich um eine ernstzunehmende psychische Erkrankung, bei deren Bewältigung Betroffene – Kinder wie Erwachsene – professionelle Hilfe benötigen. Ein umfangreicher diagnostischer Prozess legt den Grundstein zu einer individuell auf die Bedürfnisse der PatientIn maßgeschneiderten Therapie.

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