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Pressekonferenz der vom Land Tirol eingesetzte Kommission zur Untersuchung der Vorgänge um den Anstaltsfriedhof des Psychiatrischen Krankenhauses in Hall in Tirol in den Jahren 1942 bis 1945 Foto: Kommission Hall

Die Kommission übergab heute nach mehr als dreijähriger Tätigkeit ihren Schlussbericht dem Landeshauptmann von Tirol Günther Platter und stellte ihre Ergebnisse der Presse vor.

Auftrag der Kommission

Die Entdeckung eines aufgelassenen Anstaltsfriedhofes auf dem Gelände des Landeskrankenhauses (Psychiatrie) in Hall in Tirol im Zuge von geplanten Baumaßnahmen und die bald erlangte Gewissheit, dass auf diesem Friedhof von November 1942 bis April 1945 228 Menschen bestattet worden waren, fand Anfang 2011 große internationale Aufmerksamkeit.

Da in der ersten Kriegshälfte 360 PatientInnen aus der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Hall (HPA Hall) in die Tötungsanstalt Schloss Hartheim und in die Anstalt Niedernhart in Linz verbracht und dort ermordet wurden, stand der Verdacht im Raum, dass auch die Toten des Friedhofs Opfer systematischer Tötungen waren. Die Frage war, ob die HPA Hall damit in die zweite Phase der NS-Euthanasie, die als „dezentrale Euthanasie“ bezeichnet wird, verstrickt war.

Zur Klärung dieser Thematik beschloss die Tiroler Landesregierung am 19. Jänner 2011 die Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission mit dem Ziel, „die Ereignisse und Umstände während der Zeit des Nationalsozialismus im Psychiatrischen Krankenhaus in Hall i. T. zu untersuchen und eine Darstellung der Vorgänge in der Psychiatrie des Landeskrankenhauses Hall i. T., insbesondere auch in Hinblick auf den historischen Kontext, aufzubereiten“. Bereits zuvor hatte die Tiroler Landeskrankenanstalten GmbH (TILAK) selbst seit Herbst 2010 ein Forschungsprojekt zur Klärung der Fragen rund um den Friedhof ins Leben gerufen, das in die Kommission integriert wurde.

Das Arbeitsprogramm der Kommission sah vor, in einem interdisziplinären Projekt mittels archäologischer und anthropologischer Methoden einerseits, die die Exhumierung der Toten des Friedhofes inkludierte, sowie geschichtswissenschaftlicher, soziologischer und medizinischer Forschungen andererseits die Fragen rund um den Friedhof zu klären. Vor dem Hintergrund der Entwicklung der NS-Psychiatrie wurden die Verhältnisse in der Haller Anstalt, die Geschichte des Friedhofes, die Identität der dort bestatteten PatientInnen sowie die Todesursachen untersucht.

Ergebnisse der Kommission:

Die Ergebnisse liegen nun in einem zusammenfassenden 400seitigen Schlussbericht vor, Einzelergebnisse werden in weiteren 4 Folgebänden publiziert.

Die Kommission kam bei ihren Forschungen u.a. zu folgenden Ergebnissen:

– Der Grund für die Einrichtung eines Anstaltsfriedhofes im Jahr 1942 war der sich verschärfende Platzmangels auf dem städtischen Friedhof. Bis zur Einrichtung eines neuen kommunalen Friedhofes, der für die Zeit nach dem Krieg geplant war, sollte hier Abhilfe geschaffen werden.

– Von den228 auf dem Anstaltsfriedhof bestatteten Personen (ca. 60 Prozent männlich, 40 Prozent weiblich) waren 212 PatientInnen der HPA Hall, 14 waren Pfleglinge des Innsbrucker Siechenhauses, 2 Patienten des Haller Krankenhauses. Von den Toten des Friedhofes stammt knapp die Hälfte aus Tirol, ca. ein Viertel aus Vorarlberg und ein Fünftel aus Südtirol. Die anderen Verstorbenen verteilen sich auf andere Herkunftsregionen. Alle Indikatoren sprechen aus archäologischer Sicht für einen regulären christlichen Friedhof. Die sterblichen Überreste und aufgefundenen Grabbeigaben lassen erkennen, dass die traditionellen Bestattungsrituale eingehalten wurden.

– Die in der zweiten Kriegshälfte stark steigende Sterblichkeit in der Anstalt Hall (1938 4,4 %, 1943 7,3 %, 1944 13%, 1945 21%) ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Die PatientInnen in der HPA Hall waren derart schlechten Bedingungen hinsichtlich Ernährung, Kälte, Raumnot sowie pflegerischer wie medizinischer Versorgung ausgesetzt, dass die steigende Sterblichkeit als direkte Folge der Versorgungsmängel interpretiert werden muss.

Die eklatante Unterversorgung war nur zum Teil kriegsbedingt. Bei der völlig unzureichenden Versorgung mit Lebensmitteln zeigt sich auch die ideologisch begründete, bewusste Benachteiligung der PatientInnen psychiatrischer Einrichtungen während der NS-Zeit; zusätzlich bedeutete die ungleiche Verteilung der knappen Ressourcen zugunsten der arbeitsfähigen PatientInnen eine gezielte Benachteiligung der Nicht-Arbeitsfähigen. Die Möglichkeit ihres Todes wurde dabei in Kauf genommen.

Der Abtransport und die Ermordung eines Teils der PatientInnen im Rahmen der NS-Euthanasie zwischen 1940 und 1942 hat gemeinsam mit der generellen Einstellung des Nationalsozialismus zu psychisch Kranken beim Personal die Schwelle zur Anwendung von Gewalt als Mittel der Lösung von alltäglichen Problemen in der Krankenpflege sicher erheblich gesenkt, wenn nicht völlig beseitigt. Darauf weisen auch die festgestellten Knochenbrüche hin. Das Personal scheint sich mit der gezielten Mangelversorgung der Heil- und Pflegeanstalten und besonders jenes Teils ihrer PatientInnen, die als nicht therapierbar galten und auch keine produktive Arbeit leisten konnten, abgefunden und diese Mangelversorgung zum Teil auch akzeptiert zu haben.

– Die historischen, sozialwissenschaftlichen, archäologischen, anthropologischen und medizinischen Untersuchungen haben keinen Hinweis darauf gegeben, dass in der HPA Hall zwischen 1942 und 1945 ein systematisch geplanter dezentraler Krankenmord stattgefunden hat. Tötungen oder zumindest das Herbeiführen oder Zulassen eines schnellen Todes in der HPA Hall können in Einzelfällen jedoch nicht ausgeschlossen werden.

Die Ärzte in der HPA Hall dürften nicht bereit gewesen sein, PatientInnen direkt in der Anstalt mit überdosierten Medikamenten zu töten, obwohl es immer wieder Vorstöße aus der Gesundheitsverwaltung in der Reichsstatthalterei im Gau Tirol-Vorarlberg gab, in Hall Tötungen durchzuführen. Der Leiter der Anstalt Ernst Klebelsberg kooperierte zwar bei der Durchführung „T4“-Transporte im Rahmen der NS-Euthanasie und bei der Umsetzung rassenhygienischer Maßnahmen wie den Zwangssterilisationen mit den politischen Entscheidungsträgern im Reichsgau, aber dafür, dass er den Schritt hin zum Patientenmord gemacht hätte, lassen sich keine Belege finden.

– Dass der Friedhof in der Anstalt Hall nach 1945 in Vergessenheit geraten konnte, ist vor dem Hintergrund des generellen Umgangs Österreichs mit dem Nationalsozialismus zu sehen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Psychiatrie und Krankenmord während des Nationalsozialismus setzte erst ab den späten 1970er Jahren ein. Tirol war darin keine Ausnahme. Nach dem Ende der Bestattungen auf dem Anstaltsfriedhof im April 1945 blieben die Gräber noch längere Zeit erhalten, aber bereits in den 1950er Jahren setzte der Verfall des Friedhofes ein, er machte auf Angehörige zunehmend einen verwahrlosten Eindruck. Anfang der 1960er Jahre erfolgte eine Anpflanzung von Obstbäumen, 1974 wurde bei Bauplanungen der Krankenanstalt das Gelände für zukünftige Vorhaben reserviert. 1999/2000 erfolgte auf dem zwischenzeitlich als Baum- und Strauchschnittdeponie genutzten Gelände die Errichtung eines Parkplatzes.

Publikation:

Bertrand Perz, Thomas Albrich, Elisabeth Dietrich-Daum, Hartmann Hinterhuber, Brigitte Kepplinger, Wolfgang Neugebauer, Christine Roilo, Oliver Seifert, Alexander Zanesco (Hrsg.): Schlussbericht der Kommission zur Untersuchung der Vorgänge um den Anstaltsfriedhof des Psychiatrischen Krankenhauses in Hall in Tirol in den Jahren 1942 bis 1945, Universitätsverlag Wagner, Innsbruck 2014
(Veröffentlichungen der Kommission zur Untersuchung der Vorgänge um den Anstaltsgfriedhof des Psychiatrischen Krankenhauses in Hall in Tirol in den Jahren 1942 bis 1945, Band 1))

Categories: Aktuelles